Die unternehmerische Reise von Rudolph Karstadt (1856 – 1944) begann im Jahr 1881 in Wismar mit einem Startkapital von 1.000 Talern, die er von seinem Vater Christian geliehen hatte. Da Rudolph damals erst 25 Jahre alt war, konnte er nach den Gesetzen in Mecklenburg noch nicht selbstständiger Kaufmann sein. Daher musste sein Vater Christian als Inhaber des Geschäfts eingetragen werden. Dies spiegelte sich auch im Wismarer Adressbuch wider. Erst 1885 erschien nicht mehr „C. Karstadt“, sondern „R. Karstadt Manufacturwaren Confections- und Tuchhandlung, Krämerstraße 4“. Bereits 1888 änderte sich der Eintrag erneut. Offensichtlich hatte sich das Sortiment erweitert, und als Inhaber wurde Rudolph Karstadt-Lübeck genannt, zusätzlich zum kaufmännischen Geschäftsführer W. Gerlizty. Dies deutet darauf hin, dass Rudolph Karstadt von 1881, als er das Geschäft gründete, bis 1887 in Wismar lebte.
Während seiner Zeit vor Ort erwarb Rudolph Karstadt die Grundstücke Krämerstraße 2 und Lübsche Straße 1-3. Im Jahr 1907 ließ er dort einen Neubau errichten, der von dem Wismarer Architekten Johann Busch geplant wurde und am 23. Mai 1908 eröffnet wurde. Das Gebäude verfügt bis heute über eine zentrale Treppenanlage in der Mitte und einen Personenaufzug. Im Jahr 1939 wurde die Fassade des Hauses nach Entwürfen von Philipp Schäfer vereinfacht. Nach dem Ende des Zweiten Weltkriegs im Jahr 1945 wurde, wie bei vielen anderen Karstadt-Häusern, auch die Filiale in Wismar enteignet.
Im Erdgeschoss des Gebäudes befindet sich ein historisches Kontor mit einigen originalen Stücken aus der Zeit um 1900. Die bedeutendsten Exponate zur Geschichte des Karstadt-Konzerns finden sich jedoch nicht im Firmenarchiv in Essen, sondern bei einem privaten Sammler in Bremen. Mit Hilfe dieses Sammlers wurden mehrere Ausstellungen realisiert, darunter die umfangreiche Ausstellung im Jahr 2023 im Stadtgeschichtlichen Museum der Hansestadt Wismar – Schabbell. Diese Ausstellung visualisierte verschiedene Themenbereiche:
- – Gründerzeit für Warenhäuser
- – Kathedralen des Konsums – Die Architektur
- – Rudolph Karstadt
- – Entwicklung zum führenden Warenhaus
- – Karstadt im Nationalsozialismus und Zweiten Weltkrieg
- – Wiederaufbau und Wirtschaftswunder – Die Nachkriegsjahre
- – Expansion bis in die 90er Jahre
- – Entwicklung bei Karstadt seit 2000
Europa war Ende des 19. Jahrhunderts geprägt von sozialen, politischen und ideologischen Veränderungen. Besonders bemerkenswert waren die Fortschritte im Einzelhandel, die in dieser Zeit zu beobachten waren. Aufgrund des enormen Bevölkerungswachstums in den städtischen Ballungsräumen entwickelte sich der bis dahin weit verbreitete „Wanderhandel“ zurück. An seine Stelle trat der „sesshafte Einzelhandel“, wie wir ihn heute kennen. In der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts war es jedoch neu, an einem Ort so viele Kunden zu finden, dass man nicht mehr mit seinen Waren reisen musste. Im Laufe der Jahre entwickelte sich das Warenhaus. Was als „Weiß-, Woll- und Kurzwarenhandlungen […] begrenzten Umfangs“ begann, wurde im Kaiserreich schnell zum „Tempel des Konsums“. Die Warenhäuser prägten nicht nur das Stadtbild, sondern verkörperten auch den Zeitgeist der Gesellschaft und vereinten die wichtigsten Entwicklungen des Einzelhandels. Das Warenhaus gilt aus historischer Sicht als ein „Element des Urbanisierungsprozesses“ im Rahmen der Industrialisierung.
Die industrielle Massenproduktion ermöglichte den Warenhäusern nicht nur, niedrige Preise anzubieten, sondern auch das Prinzip der festen Preise durchzusetzen. Da die Güter nicht mehr per Handarbeit hergestellt, sondern maschinell produziert wurden, konnten sowohl der Händler als auch der Konsument davon ausgehen, dass sich kein Produkt von einem anderen unterschied und daher auch alle die gleiche Qualität und den gleichen Wert hatten. Feste Preise waren zu dieser Zeit ein einzigartiges Merkmal der neu entstandenen Verkaufsform. Die industrielle Herstellung von Produkten galt als eine der wichtigsten Voraussetzungen für die Entwicklung der Warenhäuser.
In den 1920er Jahren konnte man bei den Warenhäusern die Tendenz zur „Amerikanisierung“ beobachten, was sich in Expansion, Werbekampagnen und Sonderverkäufen zeigte. Der Konkurrenzkampf im Einzelhandel, in Verbindung mit der schwindenden Kaufkraft der deutschen Bevölkerung, führte zu zahlreichen Konkursfällen kleinerer Händler. In den Jahren vor dem Nationalsozialismus bahnte sich daher eine Ablehnung gegenüber den Warenhäusern an, die oft im Besitz jüdischer Familien waren. Um sich vor Boykotten zu schützen, wurde in der Werbung betont, dass Karstadt ein christliches Unternehmen war. Im Jahr 1932 schied Rudolph Karstadt aus der Unternehmensführung aus, nachdem die Warenhäuser während der Weltwirtschaftskrise einen dramatischen Absatzrückgang verzeichneten. Ein Sanierungsplan sah unter anderem eine Herabsetzung des Aktienkapitals vor, die Schließung zahlreicher Filialen und Produktionsbetriebe. Das NS-Regime gewährte dem Konzern 1933 einen umfangreichen Kredit mit der Auflage, sich von jüdischen Mitarbeitern zu trennen.
Der Zweite Weltkrieg endete für das Unternehmen mit einer niederschmetternden Bilanz: 22 Filialen und sonstige Vermögenswerte in der sowjetischen Besatzungszone sowie in den von Polen und der UdSSR verwalteten deutschen Ostgebieten wurden enteignet. In den drei westlichen Besatzungszonen sowie in Berlin (West) verblieben 45 Karstadt-Verkaufshäuser. Sie waren bis auf 14 Standorte entweder vollständig zerstört, ausgebrannt oder schwer beschädigt. Außerdem waren drei unversehrte Häuser von der jeweiligen Besatzungsmacht beschlagnahmt, darunter Celle und Mölln.
In Wismar versuchte der Geschäftsführer, die „Not-Verkaufsgemeinschaft“ durch Aufnahme anderer Warenbestände und die Errichtung einer Nähstube wiederzubeleben. Trotzdem überführte die Landesregierung Mecklenburg am 16. Januar 1948 das Wismarer Karstadt-Haus in Volkseigentum. Zum 75-jährigen Firmenjubiläum 1956 trug das frühere Karstadt-Haus die Bezeichnung „HO-Warenhaus“. Nach der politischen Wende 1991 übernahm die Karstadt AG offiziell wieder das Stammhaus in der Hansestadt. Im Jahr 2001 erhielt das Stammhaus in Wismar eine besondere Adresse: Der Platz vor dem Gebäude wurde damals offiziell in „Rudolph-Karstadt-Platz 1“ umbenannt. Zum 125. Jubiläumsjahr wurde das Haus aufwändig modernisiert und neu ausgerichtet.
In den 2000er Jahren folgten zahlreiche Umstrukturierungen, bei denen der Standort Wismar zum Glück immer erhalten blieb. Mit den jeweils neuen Rechtsformen und Betriebszwecken änderte sich der Name mehrfach. Seit November 2018 arbeiteten die GALERIA Kaufhof GmbH und Karstadt Warenhaus GmbH eng zusammen. Ab März 2019 traten Karstadt und Kaufhof unter dem gemeinsamen Namen GALERIA Karstadt Kaufhof auf. Im Januar 2020 wurden die beiden Unternehmen zu einem Unternehmen verschmolzen.
Im März 2023 wurde über die Zukunft von Galeria Kaufhof entschieden. Das Unternehmen richtete sein Filialnetz neu aus, und bundesweit blieben rund 77 Häuser erhalten, darunter das Stammhaus in Wismar. Das traditionsreiche Haus wird in das neue Konzept des Unternehmens integriert, das Online- und Filialkaufmöglichkeiten sowie eine umfassende bauliche Modernisierung vorsieht. Alle Filialen sollen künftig ein Sortiment präsentieren, das stärker auf die lokalen und regionalen Bedürfnisse ausgerichtet ist. Als Mitglied der Wirtschaftsgemeinschaft der Hansestadt Wismar ist das Haus in einen mitgliederstarken lokalen Wirtschaftsverband eingebunden. Für Einheimische und Gäste der Stadt bleibt „Karstadt“ weiterhin ein wichtiger Arbeitgeber, Innenstadtmagnet, Einkaufsort und damit für Wismar ein Symbol für Beständigkeit.
Literatur:
Lenz, Rudolf: Karstadt. Ein deutscher Karenhauskonzern 1920-1950, Stuttgart 1995
Molitor, Linda: Das Warenhaus. Die Entwicklung des Einzelhandels im Kaiserreich, Hausarbeit Rheinische Friedrich-Wilhelms-Universität Bonn 2013
Schaufenster Karstadt- Einblicke in 125 Jahre, 2006